Moralische Entwicklung nach Jean Piaget

Im vorangegangen Beitrag hast du bereits erfahren, dass das moralische Urteilsvermögen von Kindergartenkindern noch sehr stark an Anschauungen gebunden ist. Sie glauben, dass eine Person, bei der vor lauter Missgeschick 15 Tassen zu Bruch gehen, “schlimmer” gehandelt hat als jemand, der bewusst etwas Verbotenes machen wollte und dabei nur eine Tasse zerbrach… Man bezeichnet diese Phase in der kognitiven Entwicklung nicht umsonst als die “Phase des anschaulichen Denkens”.

Aber wie genau erfolgt nun die moralische Entwicklung laut Piaget?

In seinem Buch “Das moralische Urteil beim Kinde” 1983 (Original bereits 1932 erschienen!) beschreibt Piaget, wie sich das moralische Denken der Kinder wandelt.

Das Wichtigste gleich vorweg erklärt:
Zunächst übernehmen Kinder einfach die Gebote und Regeln von Autoritätspersonen – bis sie irgendwann herausfinden, dass moralische Regeln in der Interaktion mit anderen (Kindern) entstehen, also ausgehandelt werden und somit veränderbar sind.

Demnach seien laut Piaget die Interaktionen mit den Peers (= Gleichaltrigen) mehr verantwortlich für den Fortschritt im moralischen Denken als der Einfluss von Erwachsenen. (!!)

Aufgrund der kindlichen Reaktionen, die Piaget von den Kindern auf die Situationsschilderungen zu hören bekam, schlussfolgert er, dass es zwei Entwicklungsstufen sowie eine Übergangsphase zwischen den beiden Stufen gibt.

Die Stufen der moralischen Entwicklung nach Piaget

1.) Die Stufe der heteronomen Moral (heteronom = fremdbestimmt)

Alles, was andere (Autoritäts)Personen für gut heißen, ist erlaubt. Was andere nicht für gut heißen, ist nicht erlaubt.

z.B.: Stehlen darf man nicht, weil die Eltern das verboten haben.

In dieser Stufe der moralischen Entwicklung befinden sich Kinder, die noch nicht das kognitive Stadium der konkreten Operationen erreicht haben (d.h. oft Kinder unter 7 Jahren!).


Die Übergangsphase

Kinder im Alter von etwa 7/8 Jahren bis zum 10. Lebensjahr haben vermehrt mit Peers (Gleichaltrigen) zu tun als zuvor. Beim Spielen mit den Gleichaltrigen lernen sie, dass Regeln von der Gruppe aufgestellt und verändert werden können. Dies hat zur Folge, dass sie immer mehr Wert auf Gerechtigkeit und Gleichberechtigung legen. Gleichzeitig werden die Kinder in ihrem Denken über moralische Fragen auch allmählich autonomer. 

Und dies leitet schlussendlich den Übergang in die zweite Entwicklungsstufe ein:


2.) Die Stufe der autonomen Moral (autonom = selbstbestimmt)

Kinder können nun das Verhalten und Handeln aufgrund ihres eigenen Gewissens beurteilen.

z.B.: Stehlen darf man nicht, denn wenn es jeder tun würde, wäre niemand mehr seines Eigentums sicher und niemand könnte mehr Vertrauen zum anderen haben.

Kinder mit etwa 11 oder 12 Jahren akzeptieren nicht mehr den blinden Gehorsam gegenüber Autoritäten. Sie verstehen, dass Regeln das Produkt sozialer Interaktionen und Übereinkünfte sind, und wissen, dass sie geändert werden können.


Piaget zufolge gehen alle „normalen“ Kinder von der heteronomen Moral zur autonomen Moral über! Individuelle Unterschiede gehen entweder auf 

a) Unterschiede in der kognitiven Reife oder 

b) den bisherigen Gelegenheiten zur Interaktion mit Peers zurück.

Piagets Stufen der kognitiven Entwicklung

Vielleicht dient Dir das als kleine Lernhilfe:

Wir erinnern uns an Piagets Stufenmodell der kognitiven Entwicklung  und in welchem Alter sich die Kinder befinden:

  1. sensomotorische Stufe – 0 bis 2 Jahre
  2. prä-operationale Stufe – 2 bis 7 Jahre (Stufe des anschaulichen Denkens)
  3. konkret-operationale Stufe – 7 bis 11 Jahre (Stufe des logischen Denkens)
  4. formal-operationale Stufe – ab 11 Jahren (Stufe des abstrakten Denkens)

Genau genommen erkennen wir  in den Altersangaben Parallelen zur moralischen Entwicklung!

  1. Im Alter von 0 bis 2 Jahren spielt die moralische Entwicklung noch keine Rolle.
  2. Im Alter zwischen 2 bis 7 Jahren befinden sich die Kinder auf der Stufe der heteronomen Moral. (Hier haben wir unsere Kindergartenkinder 😉 
  3. Wenn sie sich dann in der konkret-operationalen Stufe, im Alter von 7 bis 11 Jahren befinden, so sind sie gerade in der Übergangsphase und die Gleichaltrigen sind zunehmend von Bedeutung. 
  4. Ab dem Alter von 11 Jahren, also der formal-operationalen Stufe, gelangen die Kinder zur autonomen Moral.

Ich hoffe dieser kleine Hinweis hilft dir dabei die zwei Entwicklungsstufen der Moral sowie die Übergangsphase dem richtigen Alter zuzuordnen, sofern du bereits die kognitive Entwicklung nach Piaget gelernt hast. 😉

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